Anmerkungen des NABU zu den Gutachten

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Hier finden Sie Anmerkungen des NABU zu folgenden Gutachten

Artenschutzgutachten (PlanÖ Oktober 2020) 

Landschaftsgutachten (Stadt Quartier 28.4.2020)  

Klimagutachten (Ökoplana 22.5.2020) 

Artenschutzgutachten

Der Erfassungszeitraum stellt nicht das reelle Artvorkommen im zu bebauenden Gebiet dar, welches jedoch zur Beurteilung des Eingriffs notwendig ist.

Begründung: Extreme Störungen im nahen Umfeld lassen keine vernünftige Bestandsanalyse zu. (Auf jeden Fall für Vögel, eventuell auch für Fledermäuse.)

Erläuterung: Die Untersuchungen stellen im Jahr 2020 keine repräsentative Bestandserhebung dar. In diesem Jahr waren auf dem Gelände sehr starke Störungen durch Baustellenverkehr und -lärm festzustellen. Gerade in Zeiten des Lockdowns zwischen März und Mai, also z.B. zur Hauptbrutzeit der Vögel, war der Baustellenlärm extrem. Ab sieben Uhr, teilweise noch im Dunkeln, war an sechs Tagen in der Woche durchgängig Lärm zu hören, der so laut war, dass Schreibtischarbeit (Veilchenweg) bei geöffnetem Fenster teilweise kaum möglich war. Neben dem ständigen Piepen rückwärtsfahrender LKW wurden anscheinend auch Materialien in den Boden gerammt, die wochenlang zu Lärm und Erschütterungen führten. Es ist davon auszugehen, dass dies auch auf das angrenzende Untersuchungsgebiet Auswirkungen hat (sowohl für Nahrungssuche als auch Brutgeschehen). Ebenfalls ist eine Untersuchung noch bei vollständiger Nutzung als Hubschrauberlandesplatz nicht vergleichbar mit dem zukünftigen Zustand, wenn dieser auf das neue Gebäude verlegt wurde. Realistisch wäre daher erst eine Bestandserhebung, wenn das Gelände ungenutzt ist.

Erfassung des Insektenbestandes lückenhaft und fehlerhaft.

Begründung: In Hinblick auf das derzeitige Insektensterben ist unbedingt eine umfassendere Insektenerfassung zu fordern. Bereits der derzeitige Lebensraum (mageres Offenland, Ruderalflächen, Waldrand, Wald) stellt meines Erachtens bereits jetzt ein wichtiges Biotop für Insekten dar.

Es sollte hierbei nicht nur auf die wenigen FFH-Arten eingegangen werden, sondern die Funktion des Gebietes für die Biodiversität. Erst genaue Untersuchungen können zeigen, wie wertvoll dies für Käfer, Libellen, Schmetterlinge und andere Arten ist.

Die Aussage bei den Libellen:

“Das Eintreten der Verbotstatbestände nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG (Verletzung und Tötung), § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG (Störung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten) und § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG (Zerstören von Fortpflanzungs- und Ruhestätten) kann ausgeschlossen werden.”

ist meines Erachtens falsch, da wir sogar in unseren Gärten im Veilchenweg regelmäßig jagende Libellen haben, obwohl keine Gewässer in der Nähe vorhanden sind. Zumindest als Nahrungs- und Aufenthaltsgebiet können die Flächen bedeutend sein.

Für Schmetterlinge ist ähnliches anzunehmen, da bereits in der nahegelegenen Siedlung Dotzheim-Sauerland, wo sich Ausgleichsflächen der Stadt befinden, eine stattliche Artenvielfalt zu erkennen ist (Schachbrettfalter, Bläulinge, Feuerfalter etc.). Auch für Wildbienen stehen potentielle Habitate zur Verfügung.

Aber auch in naturnahen Gärten des Veilchenwegs sind zahlreiche Heuschreckenarten spontan anzutreffen, Weinhähnchen und sogar die Blauflügelige Ödlandschrecke breiten sich zurzeit weiter aus (2020 in beträchtlichen Populationen beim Schloss Freudenberg in weniger als 500 m Luftlinie).

Vogelerfassung mangelhaft.

Wie bereits angedeutet ist die Erfassung nicht repräsentativ, da aufgrund sehr großer Störungen durch Hubschrauberlandesplatz und naher HSK-Baustelle ein Vergrämen sowohl der Brutvögel als auch der Nahrungsgäste auf Dauer zu vermuten ist.

Zudem ist die Arterfassung unzureichend. Es fehlen Begehungen für Specht- und Eulenkartierungen, die zum einen nachts, zum anderen auch im Winterhalbjahr zu erfolgen sind. Mir ist bekannt, dass im Wäldchen regelmäßig Waldohreulen und Waldkäuze brüten und das Gebiet sicherlich auch zur Nahrungssuche benutzen. Selbst ein Uhu konnte schon vor ein paar Jahren mehrere Nächte rufend festgestellt werden. Zudem kommen auf jeden Fall Bunt- und Grünspecht vor, selbst Klein- und Mittelspecht sind nicht auszuschließen. Gerade ist ein Monitoring der HGON beim Schloss Freudenberg in unmittelbarer Nähe veröffentlicht worden, wo diese Arten nachgewiesen wurden.

Auch bietet das Areal guten Nahrungsraum für Drosselarten wie Mistel-, Rot- und Wacholderdrossel, die gerade zu Zugzeiten dieses nutzen (was aufgrund der Erfassungsmethode nicht nachweisbar ist). Auch Mauersegler jagen regelmäßig im Untersuchungsgebiet, für eine angrenzende Mehlschwalbenkolonie könnte sie sogar bestandswichtig sein.

Insgesamt ist die Artenliste offenkundlich mangelhaft. Noch nicht einmal die sehr häufigen Eichelhäher wurden erfasst. Während der Brutzeit konnten 2020 auch Nachtigallen gehört werden. Auch Schwarzmilane und Sperber jagen hier regelmäßig.

„Durch die aktuelle Nutzung finden die Nahrungsgäste insgesamt mäßige Bedingungen mit einem moderaten Angebot an Beutetieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass die festgestellten Arten nur eine lose Bindung an den Planungsraum aufweisen und ggf. auf Alternativflächen in der Umgebung ausweichen. Entsprechend geeignete Strukturen kommen im Umfeld des Planungsraums noch regelmäßig vor.”

Diese Aussage ist nahezu unverschämt! Sobald der Baustellen- und Hubschrauberlärm entfällt ist eine sofortige Nutzung des Biotops sehr wahrscheinlich. Gerade in Anbetracht, dass in direkter Nähe eine massive Zerstörung von Lebensräumen bereits angefangen hat (Neubau HSK, Zwerg-Nase-Haus und neues Gymnasium) sind die letzten freien Flächen umso wertvoller.

Reptilienerfassung unvollständig.

Reine Begehungen mit Zufallssichtungen sind unzulänglich. Ausbringung von Amphibien- und Reptilienmatten wären sinnvoller. Im nahegelegenen Gebiet rund um das Schloss Freudenberg sind Blindschleichen, Äskulapnattern und Zauneidechsen sehr häufig. Auch in den angrenzenden Gärten werden sie immer wieder angetroffen. Es ist zu bezweifeln, dass die Erfassung hierzu den Bestand wirklich widerspiegelt.

Ebenso werden in der Siedlung Freudenberg immer wieder Gartenschläfer zufällig gesichtet. Vorkommen wären daher durchaus vorstellbar und wahrscheinlich.

Landschaftsgutachten

Das Gutachten ergibt deutlich, dass nicht nur „Wäldchen“ und Waldsaum erhaltenswert sind, sondern auch die zu bebauenden Flächen bereits jetzt ein wertvolles Biotop darstellen, das hohes Entwicklungspotential hat.

Das Landschaftsgutachten stellt zunächst fest, dass die Bereiche des „Wäldchens“ unbedingt erhaltenswert einzustufen sind, was zu unterstreichen ist.

Es wird aber auch festgestellt, dass es einen intakten Waldsaum gibt, der heute ebenfalls als wertvolles und immer selteneres Biotop anzusehen ist:

“Die von den Aufforstungen angrenzenden, mit Gebüschen dicht bewachsenen Flächen erfüllen zumindest die Funktion eines ‘Gestuften Waldrandes’. Die Gebüsche bilden Übergänge zwischen der Aufforstung und dem Offenland, die sich in Folge von Sukzession stufig ausbilden konnten. Zum einen stellen sie einen artenreichen Grenzlebensroum der, der von vielen Tieren als Nahrungshabitat und Unterschlupf genutzt wird, zum anderen dienen sie dem Schutz der Aufforstungen vor Wind.”

Aber auch für die Ruderalflächen rund um den Hubschrauberlandesplatz wird im Gutachten festgestellt:

“Das Zentrum des Plangebietes bildet der Hubschrauberlandeplatz. Die Fläche wird regelmäßig gemäht, jedoch nicht gedüngt. Infolge dessen hat sich hier ein lückiger, artenreicher Extensivrasen eingestellt, der in einigen Bereichen Übergänge zu einem Magerrasen dargestellt. Eine Zuordnung zu einem nach §30 BNatSchG geschützten Biotop lässt das vorhandene Arteninventar jedoch nicht zu.”

Auch wenn zurzeit hier kein geschütztes Biotop vorliegt, ist dies jedoch ein sehr wertvoller Lebensraum für eine Vielfalt von Pflanzen und Tieren. Zudem ist zu erwarten, dass wenn die Nutzung als Hubschrauberlandesplatzes eingestellt wird, dieses Biotop sich durchaus zu einem schützenswerten Biotop entwickeln kann. Bereits jetzt stellt es im Stadtgebiet einen wichtigen Trittbrettstein für viele Arten da.

Klimagutachten

Im Gutachten wird der Rückbau der alten HSK, wie im Bebauungsplan vorgesehen, mit einbezogen und als dringend notwendig für die Klimabilanz festgestellt. Nur unter dieser Berücksichtigung kommt es nicht zu gravierenden (!) Klimaverschlechterungen im angrenzenden Wohngebiet. Dieser Rückbau der alten HSK und Herstellung eines neuen Grünzuges, wie im Bebauungsplan festgelegt, muss daher auch seitens des NABU unbedingt durchgeführt werden.

Das Klimagutachten erscheint aber insgesamt zu kleinräumig und nicht aktuell. So wurde komplett noch nicht berücksichtigt, dass im östlich angrenzenden Gebiet seit 2020 viel Fläche zusätzlich versiegelt wurde durch den Neubau des Zwerg Nase Hauses und der Errichtung eines Gymnasiums (zurzeit erstmal Übergangscontainer, erst in nächsten Jahren neue Gebäude für Gymnasium). Hier wird durch die zusätzliche Versiegelung und zudem auch neue Windbarrieren die Klimabilanz zusätzlich verschlechtert, die Auswirkungen auf jede weitere Bebauung in der Umgebung haben wird. Ein sachlich richtiges Gutachten kann erst erstellt werden, wenn auch diese Bebauungen abgeschlossen sind, was noch mehrere Jahre dauern wird.

2019 rief die Stadt Wiesbaden den Klimanotstand 2019 aus und 2020 begann die Landeshauptstadt Wiesbaden mit der Einführung eines Klimaschutz-Management- Systems. Ziel ist es, kontinuierlich Verbesserungen im Sinne des Klimaschutzes herbei zu führen.

Aufgrund dieser Ziele sollte eine Bebauung dieser Flächen prinzipiell ausgeschlossen sein. Gerade auch unter der Berücksichtigung, dass im nahen Umfeld zurzeit großflächige Bebauungen stattfinden, die erst in mehreren Jahren abgeschlossen sein werden.

Wiesbaden, den 17.2.2021
Dr. Carolin Dreesmann
Diplombiologin